Dass es die Nikolauspflege gibt, ist einem blinden Jungen zu verdanken, einem engagierten Pädagogen und einer Zarentochter. Aber der Reihe nach ...

Unter fürstlichen Fittichen

1827 bietet der Lehrer Gottlieb Friedrich Wagner zum ersten Mal in Stuttgart „Blindenunterricht“ an. Zuerst nur für einen Schüler, dann werden es immer mehr Kinder. 20 Jahre später schreibt Olga Nikolajewna, die angehende Königin, Wagner einen folgenreichen Brief. Sie möchte seine „Blindenanstalt“ unter ihren „besonderen Schutz“ nehmen. Am 15. Oktober 1856 ist es dann soweit: Olga von Württemberg eröffnet die „Nikolaus-Pflege für blinde Kinder“ in der Forststraße 18, weit ab der Stadt auf einem Gartengrundstück. Benannt ist die Einrichtung nach ihrem Vater, dem Zaren Nikolaus I. von Russland. Gottlieb Friedrich Wagner, der engagierte Pädagoge, scheitert jedoch bald an seiner Aufgabe als Anstaltsleiter. Planen, verwalten, das Geld zusammen halten – das überfordert ihn. Wagner wird fortan nur als Lehrer eingesetzt und 1857 entlassen.

Impressionen

Selbstständig ins Leben

Christian Sackmann, der von der Staatsblindenanstalt Gmünd kommt, soll’s besser machen. 1858 übernimmt er die Leitung der „Nikolaus-Pflege“. Besonders wichtig ist für ihn eine solide handwerkliche Ausbildung der Schülerinnen und Schüler. Deshalb richtet er 1860 eine Korbwerkstatt ein, 1869 eine Blindendruckerei. Seine Nachfolger, allen voran Theodor Decker, bauen das Bildungsangebot immer weiter aus. Nach dem Umzug in den Neubau am Kräherwald im Jahr 1908 entstehen die Bereiche Bürstenmacherei, Sesselflechterei, Maschinenstrickerei, Hauswirtschaft, Stenotypie, Telefonie. Die Nachfrage nach einem Platz in der Nikolauspflege ist enorm. Bis 1900 kann die Einrichtung nur knapp die Hälfte aller württembergischen Blinden zwischen fünf und 18 Jahren aufnehmen. Endlich mehr Platz bietet das neue Haus am Kräherwald: es ist für 80 bis 100 Personen ausgelegt.

Hier am Kräherwald in Stuttgart ist die Nikolauspflege bis heute zuhause. Aber es ist ein Standort von vielen. Vieles hat sich weiterentwickelt. Die Nikolauspflege unterstützt und begleitet an verschiedenen Orten Menschen mit einer Sehbehinderung oder Blindheit, auch mit weiteren Beeinträchtigungen. Technische und digitale Hilfsmittel bereichern das Lernen und den Alltag. Ziel ist es, die bestmögliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen an der Gesellschaft zu erreichen – unabhängig von Art und Schwere der Behinderung.