Der Wunderstein

 

Im Mai 2022 fand das inklusive Theaterprojekt „Der Wunderstein“ für 14 Schülerinnen und Schüler statt. Begleitet wurden sie durch Fachpersonal des Betty-Hirsch-Schulzentrums sowie die Theaterpädagogin Barbara Tacchini, die Opernsängerin Jeanne Seguin und den Musiker und Bühnenbildner Roman Rutishäuser.
Im Zentrum standen die Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichen Altersstufen aus verschiedenen Schulen, mit und ohne Sehbeeinträchtigung. Für eine Woche konnten alle gemeinsam die Räumlichkeiten der Seniorenresidenz Augustinum am Killesberg erobern und das Theaterlabor eröffnen.

Ein Experiment mit offenem Ausgang

Frau Tacchini zeigte und half den Beteiligten am Anfang Rollen zu erfinden, sich selbst und Situationen auszuprobieren und auszufüllen. Neben dem Ausdenken und Ersinnen der Rollen wurde auch der Aspekt der Musik als wichtiges Stilmittel eingebracht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer probierten, angeleitet durch Frau Seguin und Herrn Rutishäuser sich zu verschiedenen Melodien zu bewegen und fanden so neue Zugänge zur Musik. Offen und interessiert nahmen die jungen Protagonistinnen und Protagonisten die Tipps und Hinweise der Künstlerin und des Künstlers an und verloren nach und nach ihre anfänglichen Hemmungen.

Für viele war es das erste Mal, dass sie auf einer Bühne standen. Die Gruppe näherte sich behutsam an. Es stand das Experiment mit offenem Ausgang im Fokus. Die künstlerische Form bot Ausdrucksmöglichkeit und Schutz zugleich: Die Fragen und Antworten fanden ihren Ausdruck in eigenen Texten, Bewegungen im Raum, in Sounds und Szenen. Die Kinder nutzten nach erster Scheu immer mehr die Möglichkeit sich zu erproben, neue Rollen auszuprobieren und Dinge zu wagen. Sie konnten voneinander partizipieren, jeder konnte seine Sichtweise und seine Möglichkeit einbringen und zeigen.

Die eigenen Fähigkeiten entdecken und zeigen

Theaterpädagogisches Arbeiten war in diesem Projekt eine eigenständige Art und Weise, künstlerische, theatral inspirierte Prozesse zu entwickeln. Hier stand das spielende Kind mit seiner Biografie im Mittelpunkt. Nicht zum Zweck der reinen Selbsterfahrung, sondern mit dem Ziel, anderen davon zu erzählen, in spannenden Geschichten, die einer Öffentlichkeit nicht nur standhalten, sondern diese selbstbewusst suchen. Achtsam und einfühlsam wurden die jungen Menschen dabei begleitet, sich in einen Dialog zu begeben und sich aus ihrer jeweils individuellen Lebenssituation heraus miteinander und mit brennenden Fragen auseinanderzusetzen. Wo gehöre ich dazu? Wo möchte ich dazugehören? Welche Dinge möchte ich teilen? In welche Traumwelten will ich fliegen? Was, wenn ich abstürze?

Barbara Tacchini, Jeanne Seguin sowie Roman Rutishäuser schafften es, mit ihren Anregungen und Ideen die inklusive Gruppe zusammen wachsen zu lassen und machten damit Inklusion erlebbar. Es ist in einer sehr einfühlsamen Weise gelungen, alle Kinder einzubinden. Jedes Kind wurde gesehen und durfte sich mit seiner Identität einbringen und das Stück mit seinen Fähigkeiten prägen. Alle Kinder unabhängig ihres Sehvermögens, ihres Alters, ihrer Herkunft und gesellschaftlichen Schichten konnten etwas Gemeinsames erschaffen und erleben.

Für die Kinder war vor allem das Entdecken eigener Fähigkeiten von großer Bedeutung. Das Erfassen eigener Gefühle, Bedürfnisse und Verhaltensweisen ist Voraussetzung, dass auch eine selbstkritische Betrachtung möglich ist. Geübt wurden der kreative und künstlerische Selbstausdruck sowie der feinfühlig aufmerksame Dialog. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernten neue Seiten aneinander kennen und üben. Sie waren immer mehr in der Lage, in der Gruppe kommunikativ und verantwortungsbewusst zu agieren. Es ging nicht um die eigennützige Konzentration auf das eigene Schaffen und sich allein, sondern um die Beziehungen und die Freude am gemeinsamen Gestalten.

So entstand das Stück „Das Schloss der Unmöglichkeiten“. Auf der Bühne wurde für die Kinder plötzlich unmögliches möglich: Ein Junge, der erst seit kurzem an der Schule ist und noch kein Deutsch spricht, fing an, Worte zu formen. Mädchen wurden zu Prinzessinnen und ein kleiner Junge, der immer wieder Misserfolge verzeichnete, war in der Lage, ein ganzes Schloss zu befreien, weil er an sich selbst glaubte.

Dialog zwischen den Generationen

Die Workshop Woche in der Seniorenresidenz Augustinum trug unter anderem zu einem regen Dialog zwischen den Generationen bei. Heimliche Blicke der Seniorinnen und Senioren in den Saal wurden zu Fragen und Gesprächen. Anfängliche Skepsis wich der Leichtigkeit und Unbeschwertheit der Kinder. Nach zwei Jahren, die von Corona Beschränkungen geprägt waren, brachten sie Tumult und Aufregung in die Seniorenresidenz. Mit großer Neugier wurden die Proben verfolgt und die Aufführung erwartet. Als am Donnerstag endlich die öffentliche Hauptprobe stattfand war das Eis endgültig gebrochen. Die Damen und Herren gingen mit uns auf die Reise in das „Schloss der Unmöglichkeiten“. Eine Reise, die uns mitnahm zu unseren eigenen inneren Schranken und die mutige Überwindung durch den Glauben an sich selbst. Nicht zuletzt war die Aufführung gemeinsames inklusives Erlebnis und das Teilen der Fragen und Gedanken mit einem Publikum zu einer wegweisenden Erfahrung der Selbstwirksamkeit.

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